RoSiKo - Genauigkeitsoptimierung von hochdynamischen, roboterbasierten Fertigungsprozessen durch modellgestützte Simulation und Kompensation

In den AiF-Forschungsprojekten HORuS (IGF-Nr.: 18701 N) und HORuS² (IGF-Nr.: 20057 N) wurden am Werkzeugmaschinenlabor WZL der RWTH Aachen zusammen mit der Forschungsvereinigung Programmiersprachen für Fertigungseinrichtungen e.V. (FVP) die Prozessfähigkeit eines Standard-Industrieroboters (IR) für die spanende Vorbearbeitung untersucht. Das in diesem Antrag vorgestellte Vorhaben zielt auf roboterbasierte Fertigungsprozesse mit hohen Bahngeschwindigkeiten und -beschleunigungen und gleichzeitig hohen Anforderungen an die Positionier- und Bahngenauigkeit des IR ab. Technologien wie das High-Speed Cutting (HSC), Laserschneiden oder die konventionellen additive Fertigungsverfahren wie das Fused Deposition Modeling (FDM) weisen beispielsweise diese Charakteristik auf. Der Umstieg von Werkzeugmaschinen, Portalrobotern und Sondermaschinen auf konventionelle IR für die genannten Aufgaben steigert die Flexibilität, erfordert geringere Investitionskosten und führt zu kürzeren Lieferzeiten, was besonders für KMU mit hoher Varianz und komplexen Bauteilen von Vorteil ist. Neben diesen Vorteilen, können auch Einsparungen im Rohstoff- und Energieverbrauch die Motivation für die Umsetzung robotergestützter Bearbeitungslösungen sein. Als Beispiel für den geringen Energieverbrauch von IR führen, laut Tallal et al., IR ca. 50 % der Fertigungsprozesse in der Automobilproduktion aus, verbrauchen jedoch nur 1 % der Energie dieses Sektors. Der Einsatz von Sondermaschinen fordert zudem einen erheblichen Aufstellflächenbedarf, beansprucht deshalb große Hallenbereiche und erfordert zudem meist signifikante Wartungs- und Instandhaltungskosten. Aktuelle Forschungsvorhaben fokussierten sich bisher auf robotergestützte Prozesse mit geringem Vorschub und der Kompensation statischer Abdrängungen. Anwendung gen, wie das Tapelegen und spanende Bearbeitungsprozesse, sind im Forschungsumfeld breit vertreten. Referenzprozesse wurden in unterschiedlichen Szenarien (Material, Robotertyp, Bearbeitungsprozess) bereits erfolgreich untersucht und weiterentwickelt. Durch die genannten Vorteile wurden auch weitere Aufgaben wie das Polieren oder laserinduzierte Härteprozesse mithilfe von IR umgesetzt. Auch im industriellen Umfeld wurden Lösungen für die Herausforderungen der Vergangenheit entwickelt. So wurde die Programmierung der Bearbeitungspfade von einigen Software- und Steuerungsanbietern teils mit unterschiedlichen Ansätzen gelöst. Darüber hinaus entwickelt sich auch die Hardware der IR stetig weiter, was den in der Industrie herrschenden Innovationsdruck unterstreicht. Folglich werden roboterbasierte Bearbeitungsprozesse bereits vereinzelt in der Industrie umgesetzt.

Neben dem Tapelegen, der additiven und subtraktiven Bearbeitung mit geringen Vorschüben eignen sich IR aufgrund der genannten Vorteile auch für dynamischere Prozesse, wie das HSC oder das Laserschneiden. Darüber hinaus werden auch die traditionellen Applikationen immer anspruchsvoller. So stellt beispielsweise die Handhabung von Membranen und Bipolarplatten im automatisierten Montageprozess von Brennstoffzellen mithilfe konventioneller IR aufgrund der kurzen Taktzeiten und somit hohen Verfahrgeschwindigkeiten kombiniert mit engen Toleranzen eine besondere
Herausforderung dar. Die genannten Anwendungen beanspruchen die serielle Kinematik aufgrund der hohen Geschwindigkeits- und Beschleunigungswerte und führen – neben den bekannten Schwächen der IR, wie der hohen Nachgiebigkeit und Posenabhängigkeit – zu Überschwingen und hohen Bahnabweichungen.

Die bisher entwickelten Lösungen lassen sich nicht oder nur teilweise auf hochdynamische Prozesse übertragen. Zum einen können die relevanten Trägheits- und Reibungsparameter bisher nicht vollumfänglich identifiziert werden, was eine realitätsnahe Modellierung der zugehörigen Effekte verhindert. Darüber hinaus werden in der Regel die Trägheits-, Reibungs- und Getriebespieleffekte vernachlässigt.

Ziele und Vorgehensweise

Im Projekt HoRuS² wurde bereits ein Dynamikmodell nach der rekursiven Newton-Euler-Methode hergeleitet. Die Ergebnisse der Kompensation für die ersten Bearbeitungsversuche konnten eine erhebliche Verbesserung der Endkontur und Validität des Ansatzes bestätigen. Um eine Übertragbarkeit auf beliebige IR für dynamische Prozesse gewährleisten zu können, wird im Projekt RoSiKo eine vollumfängliche Identifikation der Modellparameter angestrebt. Die entwickelte Identifikationsroutine wird anwenderfreundlich konzipiert, um die Übertragbarkeit von der experimentellen Identifikation im Labor auf das industrielle Umfeld zu gewährleisten.

Die weiteren Schwerpunkte des vorgestellten Projektvorhabens beziehen sich auf die Bereitstellung und Verwendung des identifizierten Robotermodells. In einer Simulationsumgebung wird der Fertigungsplaner durch modellgestützte Assistenztools unterstützt. Die Simulationsassistenz stellt dem Planer sowohl Prozesswissen und Optimierungsmethoden als auch Vorhersagen über das Bearbeitungsergebnis bereit. Da durch Optimierungen in der Arbeitsvorbereitung nicht alle genannten Fertigungsdefizite beseitigt werden können, wird zudem eine Kompensationsstrategie entwickelt. Bei der Entwicklung des Lösungsansatzes ist besonders auf eine Übertragbarkeit in die heterogene Steuerungslandschaft in der Industrie zu achten.

Abbildung 1: Prinzip der modellgestützten Simulation und Kompensation mithilfe zuvor identifizierter Modellparameter

Um eine vereinfachte Prozessinbetriebnahme und eine Prozessqualifikation im Bereich der roboterbasierten Bearbeitung zu erreichen, werden die drei in Abbildung 1 identifizierten Themenkomplexe im Folgenden näher erläutert:

A. Identifikationsroutine zur Optimierung des Dynamikmodells

In einzelnen Forschungsprojekten und mittlerweile auch auf kommerziell erwerblichen Steuerungen werden modellbasierte Vorsteuerungen genutzt, deren Modelle auch die auftretenden Prozesskräfte miteinbeziehen und entsprechende kompensatorische Drehmomente für jede Achse vorgeben. Dabei werden meist reduzierte Modelle verwendet, die zwar die kartesische Steifigkeit des Roboters abbilden, jedoch nicht die Antriebsmomente bei hochdynamischen Prozessen modellieren. Darüber hinaus werden in den meisten Fällen die Modellparameter für einen vorliegenden IR bestimmt, jedoch keine Ansätze entwickelt, mit denen die Modelle auch für weitere IR genutzt werden können. In den ersten Schritten des Projektes RoSiKo wird daher eine Methodik entwickelt, die es dem Anwender erlaubt, die relevanten Terme der Bewegungsgleichung eines IR vor Ort zu identifizieren. Um die Identifikation für den Anwender möglichst intuitiv zu gestalten, wird ein mehrstufiges, roboterunabhängiges Verfahren entwickelt. In einem ersten Schritt werden Randbedingungen, wie der benötigte Arbeitsraum, die Anordnung der Achsen, Transportgewicht des Roboters, und ggf. bekannte Dynamikparameter der montierten zusätzlichen Komponenten durch den Anwender festgelegt. Im Anschluss wird eine mehrstufige Routine durchlaufen, in der durch sog. „Exciting Trajectories“ alle im angegebenen Arbeitsraum identifizierbaren Terme der Bewegungsgleichung eines IR angeregt und im Nachgang durch ein Least-Square-Verfahren oder Gradientenverfahren identifiziert werden. Die identifizierten Parameter werden durch geeignetes Verfahren beschrieben auf physikalische Plausibilität untersucht.

B. Dynamiksimulation des Bearbeitungsprozesses

Viele CAD-CAM-Programme, wie z. B. Autodesk Inventor, Siemens NX, Tebis oder Solidworks unterstützen über Add-Ins die CAM-Planung von roboterbasierten Bearbeitungsaufgaben. Konventionelle Programme vereinfachen bereits die kollisionsfreie Planung der Pfade (Kinematik) und beziehen dabei auch Bewegungseinschränkungen durch Schlauchpakete o.Ä. mit ein. Jedoch ist die Simulation der Antriebsmomente und prozessinduzierter Abweichungen bei hochdynamischen Anwendungen bisher nicht integriert, was den Planungsprozess für den Anwender deutlich erschwert. Im Forschungsprojekt HORuS² wurden Planungsmodule entwickelt, die es Anwendern ermöglichen, in der CAM-Planung die Umkehrpunkte durch Veränderung der Aufspannposition sowie Anfahr- und Umfahrstrategien zu reduzieren. Hohe Beschleunigungswerte bei gleichzeitig hohen Massen und Trägheiten gekoppelt mit Prozesskräften führen zu nicht kompensierbaren Bahnabweichungen, weil die Reaktionszeit der konventionellen Regelkreise ohne Vorsteuerung zu hoch ist. Darüber hinaus fließen Reibungseffekte nichtlinear auf den Verlauf der Antriebsmomente ein und die Bahnabweichung beim Durchfahren der Getriebespiele hängt signifikant von der Momentenänderung zum Zeitpunkt der Achsumkehr ab. Die Summe dieser Effekte kann durch die hier angestrebte Planungsassistenz simuliert werden. Dem Planer kann somit Prozesswissen wie kritische Momentenverläufe, ihre Ursachen und mögliche Optimierungsstrategien vermittelt werden. Diese Strategien umfassen zum einen automatisierte Optimierungen, wie eine automatisierte Adaption des Vorschubs und zum anderen manuelle Modifikationen, wie einer Auswahl der Frässtrategie. Darüber hinaus gibt die Simulation Vorhersagen über die Bearbeitungsergebnisse und ermöglicht somit eine Vorab-Prozessbewertung.

C. Kompensationsstrategien

Trotz einer umfangreichen Planungsassistenz können nicht alle Bearbeitungsfehler mit einer optimierten Pfadplanung kompensiert werden. Die Prozesskräfte führen zu einer starken Abdrängung des TCP und auch Effekte wie Umkehrpunkte und spielbehaftete Getriebe können nicht ohne eine zusätzliche Kompensation im Prozess eliminiert werden. Ein Ansatz einer Kompensationsstrategie durch offline berechnete Offset- Korrekturwerte wird in [BREC19a] beschrieben. Die simulierten Abweichungen aus den zuvor definierten CAM-Modulen können über eine Schnittstelle für jeden IPO-Takt direkt in eine für die Steuerung lesbare Tabelle geschrieben und während des Betriebs vom Regler abgefragt werden. Darüber hinaus können die Effekte, die nicht über eine Offset-Korrektur kompensiert werden (bspw. Umkehrpunkte und spielbehaftete Getriebe) durch eine Momentenvorsteuerung reduziert werden. Für eine breite Anwendung muss ein einheitliches Konzept entwickelt werden, welches in den Grundzügen auf mehrere Steuerungsarchitekturen anwendbar ist. Darüber hinaus begünstigen die angestrebten Ziele die Benutzerfreundlichkeit, da die Kompensationsinformationen bereits aus den CAM-Funktionalitäten gebildet und im Anschluss vom Anwender weiter nutzbar sind. In den für die Kompensation vorgesehenen Arbeitspaketen werden die Ansätze aus HORuS² weiterentwickelt und mit neuen Methoden verglichen.

Förderhinweis

Das IGF-Vorhaben RoSiKo (AIF/IGF 21926N ) der Forschungsvereinigung Programmiersprachen für Fertigungseinrichtungen (FVP) e.V. wurde über die AiF im Rahmen des Programms zur Förderung der Industriellen Gemeinschaftsforschung (IGF) vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimatisch aufgrund eines Beschlusses des Deutschen Bundestages gefördert. Der Förderzeitraum begann im Juli 2021 und endete im Dezember 2023.