ProZuMa - Produktivitätssteigerung durch Zustands- und Lastüberwachung von Maschinenkomponenten

Immer größer werdende Forderungen nach kurzen Time-to-Market erfordern von den spanend fertigenden kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) Produkte unter Einhaltung der ökonomischen Wirksamkeit und eine zunehmende Anpassungsfähigkeit unter dem steigenden Druck globalisierter Märkte. Komplexe und kundenindividuelle Fertigungsaufträge in kleinen Losgrößen charakterisieren dabei häufig das Leistungsspektrum von KMU, wodurch das Plan-Wert-Dilemma verschärft wird.

Eine notwendige Voraussetzung zur Erfüllung der sich hieraus ergebenden Anforderungen an KMU ist die Verfügbarkeit von Produktionsmitteln und -anlagen. Dabei spielt insbesondere die Reduzierung von Stillstandszeiten aufgrund ungeplanter Instandsetzungsmaßnahmen zur Gewährleistung anhaltend hoher Produktivität eine entscheidende Rolle. Erfahrungswissen bezüglich der Standzeit von Maschinenkomponenten und Werkzeugen kann aufgrund der großen Varianz der zu fertigenden Bauteile – anders als in der Serienfertigung – kaum aufgebaut werden und dementsprechend nicht in die Instandhaltungsplanung mit einfließen.

Besonders für KMU stellt der Zielkonflikt zwischen Reduzierung nicht wertschöpfender Tätigkeiten (durch reaktive Instandhaltung) und Vermeidung ungeplanter Stillstandszeiten (durch präventive Instandhaltung) eine große Herausforderung dar. Dieser kann durch den Einsatz von Predictive oder Total Productive Maintenance, welche in Großunternehmen, beispielsweise der Automobilindustrie, bereits weit verbreitet sind, weitestgehend entschärft werden. Allerdings lassen sich kommerziell verfügbare Systeme aufgrund von strukturellen Unterschieden und Investitionshürden für KMU größtenteils nicht unmittelbar implementieren, was ein Umdenken bzw. die Erforschung neuer Lösungsparadigmen erfordert. Folgende Eintrittsbarrieren bzw. Hindernisse bei der Umsetzung von Industrie-4.0-Lösungen treffen vor allem auf KMU zu:

  • Sowohl der Maschinenpark als auch vorhandene IT-Systeme inklusive IT-Infrastruktur sind bei KMU meist über einen langen Zeitraum gewachsen. Aus diesem Grund kommt es bei der Umsetzung von Industrie 4.0-Ansätzen in vielen Fällen zu Kompatibilitätsproblemen.
  • Das Recruiting von hochausgebildeten Fachkräften aus dem Bereich der Digitalisierung ist für KMU häufig schwierig. Für die Beurteilung und Bewertung von Technologien fehlt damit entsprechendes Personal, was zu Fehleinschätzungen bezüglich des technologischen und wirtschaftlichen Potentials führen kann.
  •  Die Ressource „Erfahrungswissen“ ist für kleine und mittlere Unternehmen von besonderer Bedeutung. Es besteht insbesondere bei KMU die Sorge, dieses Wissen durch automatisierte Arbeitsabläufe und zu verlieren.

Auch Zweifel daran, dass sich Investitionen in Industrie 4.0-Themen aufgrund von notwendiger Hard- und Software, sowie zusätzlich ausgebildeter Mitarbeiter zeitnah amortisieren, sind den KMU-spezifischen Herausforderungen zuzuordnen.

In dem von der AiF geförderten Projekt HisToolry wurde durch die auftragsübergreifende und historienbasierte Auswertung von Werkzeuglebenszyklen eine Methodik entwickelt, die es KMU ermöglicht, Industrie 4.0-Ansätze mit geringem Hardwareaufwand – und damit geringem finanziellen Risiko – einzusetzen. Die Zustandshistorie von eingesetzten Werkzeugen wird durch den Aufbau einer technologischen Datenbank nachvollziehbar gespeichert und die weitere Entwicklung des Zustandes – abhängig von dem zu fertigenden Bauteil – abbildbar. Zusätzlich findet auch eine Zuordnung von Werkzeug und damit erzielter Bauteilqualität statt. Aus den Ergebnissen des Projekts HisToolry für spanend fertigende KMU und der im folgenden vorgestellten Umfrage ergibt sich bei den beteiligten Unternehmen der Wunsch das Werkzeug als eine Komponente von Werkzeugmaschinen anzusehen und das Modell um weitere verschleißbehaftete, wirtschaftlichkeits- und qualitätsbeeinflussende Komponenten von Vorschubachsen, wie beispielsweise Kugelgewindetriebe, zu erweitern.

Zielsetzung und Vorgehensweise

Um den zuvor genannten Herausforderungen, dem häufig von KMU geäußerten Wunsch eines risikoarmen Einstiegs in Themen der Industrie 4.0 zu begegnen und Erkenntnisse aus der Grundlagenforschung in wirtschaftlich anwendbare Lösungen für KMU zu transferieren, lässt sich die Kernidee des Forschungsvorhabens – im Sinne der Industriellen Gemeinschaftsforschung (IGF) – wie folgt formulieren:

Das Ziel des Forschungsvorhabens ist die Entwicklung und Bereitstellung einer Methodik zur Restgebrauchsdauerprognose von Vorschubachskomponenten und damit zur Steigerung der Verfügbarkeit von Werkzeugmaschinen und Produktionsanlagen. Hierbei soll der finanzielle Aufwand für KMU durch den Verzicht auf zusätzliche Sensorik in der Werkzeugmaschine auf ein Minimum reduziert werden, indem auf maschineninterne Daten von NC und PLC zurückgegriffen wird. Neben der Lebensdauerberechnung nach bestehenden Formelwerken auf Basis von Live-Daten soll durch die kontinuierliche Erfassung von Zustands- und Lastindikatoren sowie deren Archivierung in Datenbanken insbesondere die Analyse von Ursache-Wirk-Zusammenhängen zur Entwicklung neuartiger Restlebensdauermodelle ermöglicht werden. Die erzeugte Datenbasis trägt ebenfalls dazu bei, eine Brücke zwischen Grundlagenforschung und industrieller Anwendung zu schlagen, da sich bekannte wissenschaftliche Modelle zur Lebensdauerberechnung validieren und optimieren lassen. Um dieses Ziel zu erreichen, müssen bestehende Ansätze aus dem Stand der Forschung auf die Bedürfnisse von KMU zugeschnitten und weiterentwickelt werden, sodass eine skalierbare Adaption der Methodik auf bestehende und üblicherweise heterogene Maschinenparks möglich wird.

Durch die prozessparallele Auswertung von maschineninternen Daten in Werkzeugmaschinen ist es möglich, die DIN 3408-05 basierend auf realen Belastungskollektiven anzuwenden. Zusätzlich soll anhand einer aufgezeichneten Datenbasis mit Last- und Zustandsindikatoren und durch den Einsatz von Big-Data-Anwendungen ein Ursachen-Wirkungs-Modell entwickelt werden, das durch die fortlaufende Berücksichtigung von Livedaten aus den Prozessen präzisiert wird und langfristig ein Kugelgewindetriebs-Zustandsmodell auf Basis von Machine-Learning-Modellen liefert. Lebensdauerbeeinflussende Faktoren wie kurzzeitige Überlast, die durch einen Crash hervorgerufen werden kann, durch Verschmutzung hervorgerufener abrasiver Verschleiß, sowie ein durch den Kurzhubbetrieb bedingter mangelhafter Schmierfilmaufbau können demnach mit in die Lebensdauerberechnung einfließen. Für den Aufbau einer Datenbasis mit geringen Störeinflüssen sowie verkürzten Versuchsdauern werden zunächst Lebensdauerversuche auf einem vorhandenen Prüfstand durchgeführt und anschließend mit Versuchen in Werkzeugmaschinen ergänzt. Durch die Optimierung dieser Methodik hinsichtlich der Adaption in die heterogenen Maschinenparks von KMU kann ein bestehender Wettbewerbsnachteil gegenüber Großunternehmen bezüglich der Verfügbarkeit und Instandhaltung von Werkzeugmaschinen reduziert werden.

Eine von FVP und WZL aufgebaute, in der Praxis validierte Infrastruktur zur Maschinendatenerfassung wird im CNC-Kompetenzzentrum – einer Demonstratorfabrik des WZL‘s, in der Industrie 4.0-Ansätze praxisnah erprobt werden können – verwendet, angepasst und zusätzlich bei einem Partner-KMU installiert. Daraus wird eine Methode abgeleitet, die eine prozessparallele Abbildung der Ist-Belastung auf Komponenten – wie dem Kugelgewindetrieb – aus maschineninternen Daten ermöglicht, ohne dabei auf zusätzliche Sensorik angewiesen zu sein. Die Last wird dabei im Lageregeltakt der Maschinensteuerung (meist 500 Hz) berechnet. Dies wird durch Schnittstellen zur Maschinensteuerung ermöglicht, die von Steuerungsherstellern im Rahmen der Digitalisierung von Fertigungseinrichtungen geschaffen wurden. Somit ergibt sich der Vorteil, dass kostengünstig auf interne Steuerungsdaten zugegriffen werden kann und eine Implementierung in der Industrie keine Nachrüstung von Sensorik erforderlich macht. Bei der im Rahmen des Forschungsprojekts verwendeten Prüfstandssteuerung handelt es sich um eine Siemens Sinumerik 840D, welche den Zugriff auf steuerungsinterne Daten durch eine Ethernet-Verbindung erlaubt. Durch geeignete Fahrzyklen, bei denen die Vorschubachsen durch Trägheits- und Reibkräfte belastet werden, werden in Kombination mit der prozessparallelen Aufzeichnung und Auswertung von Steuerungsdaten neben den vorherrschenden Belastungen zusätzlich Zustandskennwerte wie das Reibmoment oder das Umkehrspiel bzw. die Steifigkeit der Vorschubachse ermittelt. Aus den so ermittelten Daten werden entsprechende Instandhaltungsvorgehensweisen und –zeitpunkte abgeleitet (Abbildung 1).

Abbildung 1: Ablauf zum Aufbau der Datenbasis

Da bei Versuchen in einer Werkzeugmaschine stets das Gesamtsystem der Vorschubachse – bestehend aus Kugelgewindetrieb, Linearführungen, Lagern, Getriebe, etc. – vermessen wird, ist es für eine eindeutige Zuordnung zwischen dem Zustandsindikator und einer Komponente der Vorschubachse zunächst notwendig, mehrere Versuchsreihen auf Versuchsständen durchzuführen. Hierzu wird ein Prüfstand im Rahmen des Projekts mit hydrostatischen Führungen ausgestattet, sodass eine Veränderung der aufgezeichneten Daten direkt einer Zustandsänderung des Kugelgewindetriebs zugeordnet werden können. Die Adaption der am WZL entwickelten und validierten Methodik zur Maschinendatenerfassung an vorhandenen Prüfständen sowie die Entwicklung der Fahrzyklen zur Identifikation der Zustandsindikatoren sind notwendige Schritte im Rahmen des Forschungsprojekts.

Nach der Adaption der Methodik zur Ermittlung von Komponentenbelastungen auf Basis steuerungsinterner Daten an Versuchsständen wird eine Datenbank entwickelt, in der die gewonnenen Daten zentral gespeichert und verarbeitet werden. Ziel ist es weiterhin, aus der aufgezeichneten Datenbasis stellvertretende aber informationsvolle Kennwerte für zeit- und ortsbezogene Belastungen/Komponentenzustände bei einer gleichzeitigen Reduzierung der Datensätze zu gewinnen. Hierfür werden verschiedene Verfahren, wie z. B. die Principal Component Analysis mittels Singulärwertzerlegung hinsichtlich ihrer Wirksamkeit verglichen und beurteilt. Eine Visualisierungsmöglichkeit der auf der DIN 3408-5 basierenden, prozessparallel durchgeführten Lebensdauerberechnung, wie sie am späteren Demonstrator ausgeführt werden kann, wird in Abbildung 2 (rechts) dargestellt.

Abbildung 2: Visualisierung der Belastung von Kugelgewindetrieben

Für die anwendungsspezifische Auslegung von Kugelgewindetrieben ist die Bereitstellung einer wesentlich detaillierteren Belastungshistorie notwendig, sodass den Maschinen und Komponentenherstellern zusätzlich orts- und drehzahlaufgelöste Belastungsprofile (sog. Heatmaps) zur Verfügung gestellt werden. Mit Hilfe des am WZL entwickelten Berechnungssystems MTPlus können Lastverteilungen im Kugelkontakt mit hoher Genauigkeit berechnet werden. Somit erfolgt eine Zuordnung von externer Last und ortsaufgelöster Pressung im Kugelkontakt (Abbildung 2, links). Hierbei ist zu berücksichtigen, dass sich die Lastverteilung abhängig vom Verschleißzustand der Komponente ändert. Anhand der gespeicherten Last- und Zustandsindikatoren erfolgt mittels statistischer und wissensbasierter Big-Data-Anwendungen der Aufbau eines Lebensdauermodells. Hierzu werden aus aufgezeichneten Training-Datenreihen Wirkzusammenhänge zwischen auftretenden Belastungen und daraus resultierenden Zustandsänderungen analysiert. In einem ersten Schritt werden Ermüdungsversuche (Bildung von Pittings) und Verschmutzungsversuche (abrasiver Verschleiß, führt zu stetigem Steifigkeitsverlust) berücksichtigt. Somit wird die Grundlage geschaffen, die Lebensdauer- und Gebrauchsdauerberechnung in einem Modell zusammenzuführen. Das resultierende Modell ermöglicht die Vorhersage der Restlebensdauer und der Zustandsänderung von Komponenten unter Einwirkung von Kräften und Verschmutzungen.

Neben der Adaption an einem Versuchstand wird die vorgestellte Methodik zudem an einer Werkzeugmaschine im CNC-Kompetenzzentrum des WZL integriert. Somit wird die Datenbasis neben Ergebnissen aus Prüfstandsversuchen fortlaufend mit realen Belastungen aus Fertigungsprozessen erweitert. Weiterhin werden die Forschungsergebnisse in dem Produktionsumfeld von Mitgliedern des projektbegleitenden Ausschusses validiert.

Förderhinweis

Das IGF-Vorhaben ProZuMa (21042N) der Forschungsvereinigung Programmiersprachen für Fertigungseinrichtungen (FVP) e.V. wurde über die AiF im Rahmen des Programms zur Förderung der Industriellen Gemeinschaftsforschung (IGF) vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz aufgrund eines Beschlusses des Deutschen Bundestages gefördert. Der Förderzeitraum begann im März 2020 und endete im August 2022.