HORuS² - Modellgestützte Planungsassistenz zur Steigerung der Prozessgenauigkeit bei der roboterbasierten, spanenden Vorbearbeitung von Großbauteilen

Im Vorgängerprojekt HORuS (AIF/IGF 18701 N) wurde am WZL der RWTH Aachen zusammen mit der Forschungsvereinigung Programmiersprachen für Fertigungseinrichtungen e.V. (FVP) die Prozessfähigkeit eines Standard-Industrieroboters für die spanende Vorbearbeitung untersucht. Prozesse wie die zerspanende Vorbearbeitung von Großbauteilen erfolgen derzeit fast ausschließlich auf (Groß‑)Werkzeugmaschinen (WZM). Deren Beschaffung ist mit hohen Investitionskosten und langen Lieferzeiten verbunden, da sie meistens Sonderlösungen darstellen.  Darüber hinaus müssen für den Betrieb neben großen Hallenflächen auch Wartungs- und Instandhaltungskosten berücksichtigt werden, die bei Sonderlösungen oft einen großen Faktor einnehmen.

Bearbeitungsprozesse wie das Polieren oder laserinduzierte Härteprozesse werden heutzutage vermehrt mit Standard-Industrierobotern realisiert, da sie Vorteile in Flexibilität, im Anschaffungspreis und im Verhältnis Arbeitsraum zu Aufstellfläche bieten. Auch Forderungen nach Einsparungen im Rohstoff- und Energieverbrauch motivieren die Umsetzung robotergestützter Bearbeitungslösungen. Speziell in Branchen mit einer hohen Bauteilvarianz und kleinen Losgrößen, wie etwa im Werkzeug- und Formenbau, werden Industrieroboter als hochflexible Systeme vermehrt betrachtet. Auch in der Automobilindustrie, insbesondere für diverse Zulieferer, steigt in der heutigen Zeit der Wettbewerbsdruck, um immer kostengünstiger bei steigender Vielfalt produzieren zu können. Lösungen sind auch hier immer häufiger alternative Bearbeitungskonzepte, die wesentlich flexibler auf neue Anforderungen an Fertigungsprozesse reagieren können.

Die Prozessfähigkeit eines Industrieroboters für die spanende Bearbeitung wurde im vorangegangenen Projekt HORuS bereits mit sog. Stabilitätskarten untersucht. Hintergrund der Untersuchungen sind die nachteilige geringere Absolutgenauigkeit im Vergleich zu konventionellen Werkzeugmaschinen. Auch geringere statische und dynamische Eigenschaften wirken sich insbesondere bei kraftinduzierenden Prozessen nachteilig auf die Prozessqualität aus. Die Ergebnisse der Untersuchungen haben gezeigt, dass die roboterbasierte Vorbearbeitung bei geeigneten Prozessparametern möglich ist, die Einstellung stabiler Prozessparameter für den jeweiligen Bearbeitungsprozess aber komplex ist. Durch die konzeptionelle Entwicklung eines Planungsassistenzmoduls für CAM-Systeme wurde das modellgestützte Prozesswissen in Form der Stabilitätskarten mit der Planungsebene verknüpft, sodass der CAM-NC-Planer bei der Bearbeitungsplanung bei der Wahl stabiler Prozessparameter unterstützt wird. Das entwickelte Konzept wurde anhand eines realen Bauteils, welches vom beteiligten Unternehmen der Eisenwerke Brühl zur Verfügung gestellt wurde, evaluiert und validiert. Eine in diesem Fall durchgeführte Wirtschaftlichkeitsbetrachtung zur Gegenüberstellung einer roboterbasierten Bearbeitungslösung und der Umsetzung mittels konventioneller Großwerkzeugmaschinen unterstreicht das Interesse des beteiligten Unternehmens im Projekt HORuS.

Die Ergebnisse des Forschungsprojektes zeigen, dass der Anwendungsbereich der Industrierobotik durch Planungsunterstützung auf weitere Einsatzfelder erweiterbar ist, bedarf zur Steigerung der Prozessfähigkeit aber die Betrachtung weiterer Aspekte. Untersuchungen in HORuS haben gezeigt, dass die Bahntreue eines Industrieroboters insbesondere seines kinematischen Aufbaus geschuldet ist. Erhebliche Abweichungen zwischen Soll- und Ist-Bahn von bis zu 0,5mm sind festgestellt worden, wenn der Roboter lineare Bewegungen durchführen soll, die nur durch Drehrichtungswechsel einzelner Getriebe verursacht werden. Das kritische Umkehrspiel der einzelnen Achsen hat ebenfalls Einfluss auf die Bahntreue bei Pfadrichtungsänderungen des Werkzeuges. Die Häufigkeit und Lage der kritischen Drehrichtungswechsel bei der Bearbeitung ist beeinflussbar und soll u. a. im Rahmen des hier beschriebenen Forschungsprojekts HORuS² mithilfe CAM-basierter Planungsmethoden berücksichtigt werden, vgl. Abbildung 1.

Abbildung 1: 	Prinzip einer modellbasierten Planungsassistenz für die roboterbasierte Bearbeitung

Abbildung 1: Prinzip einer modellbasierten Planungsassistenz für die roboterbasierte Bearbeitung

Eine Steigerung der Prozessfähigkeit durch Erhöhung der Fertigungsgenauigkeit der roboterbasierten Bearbeitung von Großbauteilen erfordert eine ganzheitliche Betrachtung von drei Themenkomplexen (vgl. Abbildung 1):

1. Prozessinbetriebnahme durch präzise Werkstück-Vermessung

In der Serienproduktion von Bauteilen mit hohen Losgrößen werden häufig Nullpunkt-spannsysteme verwendet, die Standzeiten von Maschinen und Anlagen in Fertigungsbetrieben verkürzen, da lange Rüstzeiten durch individuelles Vermessen der Bauteile wegfällt. Bei der Einzelteilfertigung kann das Rohteil mit verschiedenen Technologien vermessen werden, wobei dieser Inbetriebnahmeschritt manuell ausgeführt wird und nicht automatisiert ist. Bei konventionellen Werkzeugmaschinen werden Bauteile häufig mit einem geführten taktilen Messtaster vermessen. Das Führen eines Messtasters mit der Bearbeitungsspindel des Roboters liefert abhängig der Genauigkeit des Systems Abweichungen zwischen der realen Position des Bauteils und den vermessenen Koordinaten. Für einen präzisen Zerspanungsprozess ist eine Vermessung der translatorischen und rotatorischen Beziehung des Basiskoordinaten-systems des Roboters und des Rohbauteils zu erfassen, die anschließend der Robotersteuerung übermittelt werden kann.

2. Bahnabweichungen durch Roboterkinematik

Ein Prüfkriterium für die Bahngenauigkeit stellt bei numerisch gesteuerten Werkzeugmaschinen der sog. Kreisformtest dar [ISO05]. Das Werkzeug fährt auf einer Vollkreisbahn und weicht abhängig des Umkehrspiels von seiner Soll-Bahn ab (Losefehler). Bei Knickarmrobotern können aufgrund des kinematischen Aufbaus schon bei linearen Bewegungen Achsumkehrungen aufgrund der Drehachsen auftreten. Der

qualitative Effekt einer Achsumkehrung auf die Bahnabweichung ist dabei von der wirkenden Drehachse, also vom Getriebespiel des verbauten Getriebes, abhängig. Die Lage der Soll-/Ist-Abweichung aufgrund des Losefehlers in einer linearen Bewegung und die Häufigkeit von Umkehrungen während des gesamten Bearbeitungsprozesses sind von der Aufspannposition und der Bearbeitungsrichtung und somit Lage der Bahn-operationen relativ zum Roboter abhängig. Eine vorgelagerte Berücksichtigung in der Bearbeitungsplanung hinsichtlich einer geeigneten Aufspannposition sowie Richtung der Bearbeitungsbahnen weist Potential zur Steigerung der Prozessgenauigkeit auf.

Der Einfluss von Achsumkehrungen wirkt sich nicht nur auf die Bahntreue linearer Bewegungen aus, sondern führt auch beispielsweise bei rechteckigen Außenkonturen zu Bahnabweichungen, wenn das Werkzeug im kartesischen Raum eine Richtungs-änderung durchführen muss. Am Umkehrpunkt müssen einzelne Drehachsen umkehren, sodass die Werkzeugspitze im Anfahrprozess von der Sollposition abweicht. Die automatisierte Vorgabe geeigneter Anfahr- und Umfahrstrategien bei entsprechenden Bearbeitungsoperationen (z. B. Außenkonturen) kann zu Qualitätssteigerungen führen.

3. Statische Prozessparameter

Prozessparameter wie die kartesische Vorschubgeschwindigkeit und die Spindeldrehzahl werden abhängig des zu bearbeitenden Materials und des Werkzeuges in Fertigungsprogrammen vorgegeben. Der Werkzeughersteller gibt üblicherweise einen Drehzahlbereich an, aus dem der Fertigungsplaner anhand seines Erfahrungswissens oder Vorversuchen an der zu verwendenden Bearbeitungsmaschine die optimale Drehzahl wählt. Untersuchungen aus HORuS haben ergeben, dass die Stabilitäts-grenzen abhängig der eingestellten Fertigungsparameter (Aufspannort, Bewegungs-richtung, Pose) verlaufen. Stabile Prozessbereiche können zwar durch Voruntersuchungen vorgegeben werden, lassen sich jedoch für sehr komplexe Bearbeitungsprogramme nicht eindeutig für jede Bahn vorhersagen. Durch die Erfassung echtzeitfähiger Beschleunigungsspektren an der Bearbeitungsspindel können kritische Resonanzstellen während der Bearbeitung festgestellt werden. Voruntersuchungen haben gezeigt, dass die Adaption der Spindeldrehzahl als Stellgröße abhängig der Beschleunigungsamplitude direkten Einfluss auf die Prozessstabilität aufweist.

Auch die statische Vorgabe der Vorschubgeschwindigkeit hat bei der roboterbasierten Bearbeitung negativen Einfluss auf die Konturtreue beim Materialeintritt und -austritt. Der Einfluss der Vorschubgeschwindigkeit auf die Abweichung der Roboterbahn ist bisher nicht ausreichend untersucht.

Ziele und Vorgehensweise

Im Forschungsvorhaben HORuS² wurde daher ein Ansatz entwickelt, um applikationsübergreifend die Prozessfähigkeit des Produktionsmittels „Roboter“ in der spanenden Bearbeitung zu steigern. Von entscheidender Bedeutung ist dabei die Bearbeitungsaufgabe und damit einhergehend das Fertigungsprogramm bzw. die Fertigungsbahnen, die der Roboter realisieren soll. Neben der Stabilitätsgrenze ist auch die Bahntreue abhängig von der Lage, der Orientierung und den eingestellten Technologieparametern sowie der kinematischen Eigenschaften des eingesetzten Roboters. Insgesamt wurde die folgende Hauptforschungsfrage beantwortet:

Welche Bearbeitungs- und Werkstückqualität kann ein Industrieroboter bei spanenden Bearbeitungsaufgaben mit den im Projekt entwickelten Methoden erzielen?

Zur Beantwortung wurden neue Methoden und Strategien zur Steigerung der Prozessfähigkeit an einem bereits vorhandenen Demonstrator, der eine optimale Basis bietet, erarbeitet. Der Fokus lag auf der Entwicklung von integrativen CAM-Planungsmodulen, die den Prozessplanungsprozess positiv unterstützen. Mit Hilfe des zur Verfügung stehenden Demonstrators wurden die entwickelten Ansätze zur Steigerung der Bearbeitungsgenauigkeit eines Industrieroboters umfangreich validiert und applikations- und industrienah getestet. Der Demonstrator soll so den beteiligten Forschungsstellen und Unternehmen ermöglichen, die gewonnenen Erkenntnisse praktisch umzusetzen.

Förderhinweis

Das IGF-Vorhaben HORuS² (AIF/IGF  20057 N ) der Forschungsvereinigung Programmiersprachen für Fertigungseinrichtungen (FVP) e.V. wurde über die AiF im Rahmen des Programms zur Förderung der Industriellen Gemeinschaftsforschung (IGF) vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie aufgrund eines Beschlusses des Deutschen Bundestages gefördert. Der Förderzeitraum begann im März 2018 und endete im September 2020.