FlexARob² – Minimierung von Restunsicherheiten bei der werkstattorientierten Werkzeugmaschinen-automatisierung durch flexible Roboterunterstützung
Im AiF-Forschungsprojekt FlexARob (IGF-Vorhaben-Nr. 19202 N) wurde am Werkzeugmaschinenlabor WZL der RWTH Aachen zusammen mit der Forschungsvereinigung Programmiersprachen für Fertigungseinrichtungen e.V. (FVP) die werkstattorientierte Prozessinbetriebnahme durch flexible, roboterunterstützte Automatisierung untersucht. Aufgrund von verkürzten Produktlebenszyklen und geringen Stückzahlen von zahlreichen Varianten bei KMU erfordert die Beschickung und das Materialhandling ein hohes Maß an Flexibilität, weshalb der Maschinenbediener heutzutage diese Aufgaben übernimmt. Der im Forschungsprojekt FlexARob verfolgte Automatisierungsansatz zielt auf eine Produktivitätssteigerung spanender Bearbeitungsprozesse kleiner und mittlerer Unternehmen (KMU) mit variantenreichem Produktspektrum mit Hilfe einer flexiblen, temporären und vor allem automatisierten Beschickung ab.
Mittlerweile existieren hierfür in der Industrie zwar Ansätze, diese sind jedoch häufig nicht universell einsetzbar, sondern funktionieren nur in bestimmten Kombinationen. Andere Lösungen verfügen über keinen gesamtheitlichen Ansatz, sodass der Werker in der Lage sein muss, Roboter kollisionsfrei zu programmieren.
Im Forschungsprojekt FlexARob wurde ein gesamtheitlicher Systementwurf verfolgt. Hier wurden Steuerungskomponenten, Schnittstellen, Programmiersysteme, Arbeitsabläufe sowie die unterschiedlichen Aktoren für eine flexible Beschickung betrachtet. Ergebnis dieser Untersuchungen ist ein Plug&Produce-fähiger mobiler Demonstrator bestehend aus einem kollaborativen Roboter und mehreren Greif- und Spannsystemen, der über eine einheitliche Softwareschnittstelle gemäß den Arbeitsabläufen programmiert werden kann.
Da in KMU meist keine ausreichenden Kenntnisse in der Roboterprogrammierung vorliegen, wurde die Softwareschnittstelle hinsichtlich dieser Anforderung ausgelegt. Demnach wurde eine intuitive Oberfläche entworfen, die es dem Maschinenbediener erlaubt, den Prozess einzufahren und eine Arbeitsabfolge generisch zu bilden. Die Kommunikation zwischen den verschiedenen Aktoren (Roboter, Greifer, Werkzeugmaschine) wurde durch einen treiberbasierten Ansatz erreicht. Die Aktoren können hierdurch leichter integriert werden, um die Ablaufprogrammierung über eine einheitliche Schnittstelle zu ermöglichen. Weiterhin wurde eine intuitivere Inbetriebnahme (IBN) durch die Integration von CAM-Funktionalitäten in der Planungsphase erreicht. Hierdurch konnten während der Konstruktionsphase bereits Greifflächen definiert werden, die der Maschinenbediener in der IBN nutzen konnte. Somit können einzelne Positionen durch das geführte Teachen des Roboters in einer Datenbank gespeichert werden, um im Nachgang eine Abfolge aus Roboterpositionierung und Greiferaktion programmieren zu können. Im Rahmen des Forschungsprojektes FlexARob wurde der Demonstrator mehrmals vor Projektpartnern vorgestellt, die die zutreffende Erfüllung der Anforderungen für KMU bestätigen konnten. Zudem wurde der Aufbau gemeinsam mit der Softwareschnittstelle bei Projektpartnern an realen Prozessen evaluiert und konnte bezüglich Genauigkeiten der Handlingprozesse und Ablaufprogrammierung überzeugen.
Der Fokus des Projektes FlexARob war die Entwicklung einer Programmierumgebung für KMU, die keine Programmier-Expertise im Umfeld Automatisierung und Robotik vorweisen. Während der Projektlaufzeit sind gemeinsam mit den Projektpartnern Restunsicherheiten und Potentiale zur Beschleunigung der IBN eines autonom agierenden Automatisierungsprozesses identifiziert worden. Kollisionsrisiken stellen beispielsweise wechselnde Umgebungen oder eine Verschiebung des Aufbaus dar. Außerdem ist die Umgebung innerhalb der Werkzeugmaschine mit variabel positionierbaren Achsen, Spindel und Spanntisch sehr komplex und ein kostspieliges Maschinenmodell in KMU meist nicht vorhanden, sodass eine Pfadplanung basierend auf einer Umgebungskarte sinnvoll ist. Die Umgebung soll mit einer 3D-Kamera detektiert werden und anschließend für eine kollisionsfreie Pfadplanung genutzt werden. Des Weiteren ist die Programmierung der einzelnen Positionen einer Palettiervorrichtung oder Ähnlichem sehr zeitintensiv und fehleranfällig. Deshalb ist für das Forschungsvorhaben FlexARob² eine Beschleunigung der IBN und damit verbundenen Minimierung der Unsicherheiten durch die Verwendung von Positionsmarkern kombiniert mit den CAM-Daten der Vorrichtungen und einer automatisierten Greifbackenkonstruktion auf Basis der Werkstück-CAM-Daten vorgesehen. Darüber hinaus konnte festgestellt werden, dass viele Teile in Kisten angeliefert werden, weshalb auch der Griff in die Kiste implementiert werden soll (vgl. Abbildung 1).
Abbildung 1: Konzeptskizze des Projektes FlexARob²
Die genannten drei Themenschwerpunkte des Forschungsprojektes FlexARob² werden im Folgenden näher erläutert:
1. Beschleunigung der Inbetriebnahme durch unterstützende CAD-/CAM- Funktionalitäten mit Referenzmarkern
Bei einer vollautomatisierten Handlings-Aufgabe für einen Industrieroboter in der Serienfertigung sind Lage und Greifflächen der Werkstücke bei der Einrichtung der Anlage zumeist eindeutig manuell festgelegt. Bei der temporären und flexiblen automatischen Beschickung einer Werkzeugmaschine wird eine größere Variantenvielfalt abgedeckt. Der Teach-Prozess für das Greifen vieler Varianten in unterschiedlichen Umgebungen kann demnach zu erheblichen Verzögerungen während der Inbetriebnahme führen.
In FlexARob wurden einige CAM-Funktionalitäten hinzugefügt, sodass bei der Konstruktion des Werkstückes bereits Greifflächen inklusive Umspannflächen definiert werden können. In FlexARob² wird eine automatisierte Erzeugung der Greiffinger angestrebt. Aus den Informationen der CAD-Daten wird die Form und der benötigte Hub des Greifers abgeleitet und für das Erstellen der Greiferkontur verwendet.
Bei der Beschickung werden für die Werkstückbereitstellung diverse Vorrichtungen eingesetzt. Der Teach-Vorgang für eine Palettiervorrichtung beispielsweise erhöht den Zeitaufwand der Inbetriebnahme erheblich und birgt zudem ein Fehlerrisiko. Ein Ansatz diesen Prozess zu beschleunigen, stellt die Verwendung von Markern oder taktiler Sensorik dar. Mit diesen Methoden werden Referenzpositionen diverser Vorrichtungen während der Inbetriebnahme ermittelt. Die Positionen können mit Daten aus der CAD-/CAM-Planung kombiniert werden, die auf RFID-Chips oder QR-Codes hinterlegt sind.
2. Griff in die Kiste
In der Fertigung werden die Rohteile oftmals in Kisten gelagert und transportiert. Bei der Beschickung der Werkzeugmaschine durch einen Werker stellt das Greifen eines solchen Werkstücks mit einer undefinierten Position in einer Kiste kein Problem dar. Für eine Automatisierung dieses Prozesses ist aktuell jedoch keine praktikabel und für KMU bezahlbare Lösung verfügbar, außer die Bauteile in eine entsprechende Vorrichtung einzusortieren, welche diese in einer definierten Position bereitstellt. Dieser Zwischenschritt kostet Zeit und ist zudem nur mit zusätzlichem Aufwand mit Rüttel-förderern oder Ähnlichem zu automatisieren.
In diesem Projekt wird das Greifen der Teile aus einer Kiste durch eine Kombination aus Bilderkennung und Informationen aus der CAD-Konstruktion ermöglicht. Die Kamera, die bereits für die Erkennung der Umgebung verwendet wird, wird hierzu über der Kiste positioniert und nimmt ein Bild des Inhalts auf. Dieses Bild wird im Hinblick auf bestimmte Konturen, die im CAD-Programm markiert werden, untersucht. Wenn eine Kontur erkannt wird, werden die Position des Werkstückes und die möglichen Greifflächen (ebenfalls aus den CAD-Daten) errechnet und für den Greifprozess verwendet. Sollte die Orientierung des Werkstückes einen adäquaten Griff nicht erlauben, werden auch alternative Greifflächen und ein möglicher Umspannvorgang identifiziert.
3. Kollisionsvermeidung infolge optimierter Bahnplanung durch 3D-Umgebungserkennung
Bei der Beschickung einer Werkzeugmaschine weist die Umgebung vor und innerhalb der Maschine zahlreiche Hindernisse auf. Bisher werden für den roboterbasierten Beschickungsprozess alle für den Prozess notwendigen Punkte durch den Werker eingeteacht. Die Bahn zwischen diesen Punkten wird durch den Verfahrmodus (z. B. Punkt-zu-Punkt- oder Linearbahn) definiert. Im Hinblick auf die erwähnten Hindernisse birgt dieser Prozess ein Kollisionsrisiko, da sich die Umgebung einerseits verändern kann und andererseits eine Point-to-Point-Bewegung vorher nicht genau bestimmt werden kann. Außerdem besitzen die Werker in KMU i.d.R. keine substantielle Expertise im Feld Robotik, was das Risiko weiter erhöht. Eine Kollision kann Maschine, Roboter oder Werkstück beschädigen und behindert den automatisierten Vorgang erheblich.
Eine optimierte Bahnplanung gestützt durch eine dreidimensionale Umgebungskarte kann das Kollisionsrisiko reduzieren. Die Umgebung wird durch eine 3D-Kamera erfasst und mit den CAD-Modellen der Hindernisse – falls diese gegeben sind – überlagert. Auf Basis der Karte wird im Anschluss eine kollisionsfreie Bahnplanung durchgeführt: Die Bahnsegmente werden dabei durch einen Optimierungsalgorithmus mit Hilfe der Karte und einem Sicherheitsabstand auf Kollision überprüft. Darüber hinaus werden auch die Ausmaße des Werkstücks und die Körper des Roboters berücksichtigt. Neben der Reduzierung des Kollisionsrisikos können durch die Bahnoptimierung auch Prozesszeiten verkürzt werden, was sich positiv auf die Produktivität auswirkt.
Zielsetzung und Vorgehensweise
Im Folgeprojekt wird ein Ansatz entwickelt, um die vorhandenen Restunsicherheiten bei der Werkzeugmaschinenautomatisierung durch flexiblen Robotereinsatz zu minimieren. Von entscheidender Bedeutung ist dabei, die IBN des Prozesses zu vereinfachen und intuitiver zu gestalten, sodass eine Bedienung ohne Expertenwissen möglich ist. Neben der IBN spielt sowohl das Greifen von variantenreichen Bauteilen als auch das sichere Einlegen dieser in die Maschine eine große Rolle. Beide Minimierungsansätze führen nur zum Erfolg, wenn eine ausreichende Prozesssicherheit und -geschwindigkeit garantiert werden kann. Ausgehend auch von den aktuellen Vorarbeiten soll daher folgende Hauptforschungsfrage beantwortet werden:
Wie können die vorhandenen Restunsicherheiten bei der flexiblen Beschickung von WZM bei gleichzeitig schnellerer IBN und optimierter Prozesszeiten minimiert werden?
In diesem Zusammenhang werden folgende Teilziele verfolgt und Ergebnisse erarbeitet. Einleitend wird eine Methode entwickelt, die die Zeit bei IBN durch den Einsatz von Markern auf den zu handhabbaren Komponenten reduziert und den Prozess an sich vereinfacht. In der weiteren Phase wird das Greifen von Bauteilen detaillierter betrachtet. Hierbei werden CAD-Daten genutzt, um die erforderlichen Informationen zu extrahieren. Die gewonnenen Erkenntnisse werden dazu genutzt, Bauteile zu lokalisieren und durch die bauteilspezifischen Greiffinger sicher zu greifen. Aufbauend hierauf wird eine Strategie entwickelt, wie der Roboter die Bauteile selbstständig umgreifen kann. Im Anschluss an die beiden vorherigen Teilziele wird ein System entwickelt, welches die Umgebung durch Sensoren dynamisch erfasst und anschließend basierend hierauf kollisionsfreie Bewegungspfade des Roboters plant. Zur Beantwortung der gestellten Forschungsfrage werden abschließend die erzielten Ergebnisse durch Evaluierungsszenarien validiert.
Förderhinweis
Das IGF-Vorhaben FlexARob² (20922 N) der Forschungsvereinigung Programmiersprachen für Fertigungseinrichtungen (FVP) e.V. wurde über die AiF im Rahmen des Programms zur Förderung der Industriellen Gemeinschaftsforschung (IGF) vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz aufgrund eines Beschlusses des Deutschen Bundestages gefördert. Der Förderzeitraum begann im Januar 2020 und endete im Dezember 2021.