CAMWear 2.0 – Automatisierte Verschleißmessung und -analyse zur Optimierung der Prozessplanung in der Fräsbearbeitung

Die metallverarbeitende Industrie bzw. die Branchen Werkzeugbau, Automobilbau, Luft- und Raumfahrttechnik und der allg. Maschinenbau erwirtschafteten im Jahr 2019 rund 40 % der Bruttowertschöpfung des produzierenden Gewerbes sowie 24 % der gesamten Bruttowertschöpfung in Deutschland. Eine wichtige Technologie zur Herstellung von Erzeugnissen innerhalb oben genannten Branchen ist die Zerspanung. Ein Kostentreiber der spanenden Fertigung ist der verfahrensbedingte Werkzeugverschleiß. Vor dem Hintergrund des Nachfragewachstums für Zerspanwerkzeuge und
steigenden Rohstoffpreisen zur Hartmetallherstellung, stellt verschleißbedingte Verschwendung
eine wachsende Herausforderung für KMU dar, siehe Abbildung 1.

Abbildung 1: Abbildung 1: Kobaltpreis und –nachfrage (links), Wachstum des Zerspanwerkzeugmarktes (rechts) und Verschwendung durch Werkzeugverschleiß (unten) 

Überhöhter Verschleiß an Zerspanwerkzeugen kann zu Qualitätseinbußen am Produkt führen, woraus aufwändige Nacharbeiten oder Bauteilausschuss resultieren. Aus diesem Grund werden in der laufenden Produktion regelmäßige Verschleißmessungen und frühzeitige Werkzeugwechsel durchgeführt. Diese Maßnahmen erfordern jedoch eine Unterbrechung des laufenden Fertigungsprozesses sowie die manuelle und fehleranfällige Messung durch den Bediener. Auch die Entscheidung über den weiteren Einsatz oder den Wechsel eines verschlissenen Werkzeugs obliegt dem verantwortlichen Mitarbeiter. Die Folge sind der Verlust von produktiver Fertigungszeit, verfrühte oder verspätete Werkzeugwechsel und folglich erhöhte Verschwendung.

Darüber hinaus findet keine Korrelation der Verschleißinformationen mit weiteren Fertigungsdaten sowie ein damit verbundener langfristiger Wissensaufbau mit dem Ziel der optimierten Ausnutzung von Zerspanwerkzeugen statt. Beide Faktoren, die Optimierung des Messvorgangs und die wissensbasierte Einsatzoptimierung, bergen jedoch enorme Einsparpotenziale für fertigende KMU.

Abbildung 2: Manuelle Verschleißmessung und –bewertung im industriellen Umfeld

Problemstellung: Werkzeugverschleiß bewirkt in erster Linie einen kontinuierlichen Anstieg der Prozesskräfte und Temperaturen, welche auf das zu fertigende Werkstück wirken. Hieraus können Maß-, Form- und Lageabweichungen, erhöhte Oberflächenrauheiten und Randzonenschädigungen resultieren. Zur Vermeidung derartiger Qualitätsprobleme findet eine regelmäßige Beurteilung des Verschleißes mit dem Ziel eines rechtzeitigen Werkzeugwechsels statt, siehe Abbildung 2, was jedoch mit folgenden Defiziten verbunden ist:

  • Aufwändige Messprozeduren: Die maschinenintegrierte oder gar hauptzeitparallele Messung von Werkzeugverschleiß ist bis heute nicht industrieller Stand der Technik. Zur Verschleißmessung ist heutzutage in der Regel eine Unterbrechung des Fertigungsprozesses und die Entnahme des Werkzeugs aus der Werkzeug-maschine erforderlich. Hierdurch erhöhen sich Fertigungszeit und Produktkosten. Darüber hinaus handelt es sich bei den eingesetzten Messmitteln meist um kapi-talintensive Messgeräte. Die begrenzte Durchführbarkeit der intermittierenden Messung erschwert zudem die Identifikation optimaler Werkzeugwechselpunkte und damit die optimale Werkzeugausnutzung.
  • Subjektive Bewertung durch den Menschen: Im Zuge der manuellen Messung des Werkzeugverschleißes mit Hilfe optischer Messgeräte findet eine händische Anzeichnung und Vermessung der Verschleißflächen durch den verantwortlichen Mitarbeiter auf den erstellten Bilddaten statt. Hierbei können subjektive Fehleinschätzungen des Verschleißzustands auftreten. In Folge dessen werden Werk-zeuge oftmals zu früh ausgetauscht, was zu erhöhtem Werkzeugverbrauch und –kosten führt, oder zu spät, woraus meist Qualitätsprobleme resultieren. Die subjektive, nicht standardisierte Beurteilung durch verschiedene Bediener führt zur inkonsistenten Bewertung von Verschleißzuständen und schränkt den Aufbau eines homogenen, nutzbaren Datenschatzes ein.
  • Fehlender Wissensaufbau und -erhalt: Die im Zuge der Verschleißmessungen ermittelten Daten werden heutzutage nahezu keiner weiteren Auswertung zugeführt, um diese beispielsweise mit parallel ermittelten Prozess- oder Qualitätsdaten zu korrelieren. Ein nachhaltiger Wissensaufbau und -erhalt mit dem Ziel einer wissensbasierten Optimierung der Werkzeugausnutzung findet nicht statt.

Zielsetzung und Vorgehensweise

Das Ziel des Vorgängerprojektes  »CAMWear« (IGF-Vorhaben Nr. 20270 N/2, Laufzeit 2019-2021) war:

„Die Steigerung der Produktivität in der 5-Achs-Fräsbearbeitung durch Berücksichtigung des Werkzeugverschleißes bei der CAM-Planung auf Basis eines selbstlernen-den Algorithmus“

Konkret werden Simulationsdaten und experimentell erhobene Verschleißdaten genutzt, um mit Machine Learning Regressionsverfahren ein Verschleißratenmodell für einen oberflächenerzeugenden Schlichtfräsprozess zu generieren. Als Verschleißkenngröße wird das in der Industrie gängige Maß der Verschleißmarkenbreite, VB, genutzt. Das empirische Verschleißratenmodell wird in ein CAM-System integriert, um die geschätzte Verschleißentwicklung zu Visualisieren, siehe Abbildung 3.

Abbildung 3: Entwicklungen im Projekt »CAMWear«: Bauteil und Werkzeugpfad in CAM (oben links), ortsaufgelöste Kolorierung des Werkzeugverschleißes im Eingriff in CAM (oben rechts), Verschleißzustand des Werkzeugs entlang der Schneide (unten)

Die Ermittelung von experimentellen Verschleißdaten mit dem aktuellen Stand der Technik aufwändig, subjektiv und nicht nachhaltig. Daher stellt diese Vorgehensweise zur Generierung von Verschleißdaten eine hohe Hürde für die Verwendung der technologischen Optimierung aus »CAMWear« für KMU dar. Durch eine vollautomatisierte, maschinenintegrierte Verschleißmessung auf KI-Basis, wie sie in »CAMWear 2.0« geplant ist, siehe Abbildung 4, können im laufenden Betrieb Verschleißdaten erfasst, gespeichert und zur Modellbildung zwecks Prozessoptimierung in KMU eingesetzt werden.

Abbildung 4: Schematische Darstellung der Inhalte des laufenden Projekts »CAMWear« sowie der automatisierten Verschleißmessung und –analyse im geplanten Vorhaben »CAMWear 2.0«.

Im Rahmen des Vorhabens sollen damit die in »CAMWear« erarbeiteten Konzepte zur KI-gestützten
Verschleißsimulation für Unternehmen nutzbar gemacht werden. Hierzu müssen KMU in die Lage versetzt werden, das Zusammenstellen und Organisieren von Trainingsdaten sowie das Anlernen von KI-Modellen auch ohne wissenschaftlich-mathematischen Hintergrund und während des laufenden Fertigungsbetriebs leisten zu können. Weiterhin müssen die Ergebnisse einer Verschleißbewertung den Mitarbeitern auf geeignete Weise bereitgestellt werden. Die Forschungsfrage lautet daher:

„Wie lässt sich »CAMWear« ohne einen erheblichen Mehraufwand und ohne Hintergrundkenntnisse zu Machine-Learning-Verfahren in KMU einführen und produktiv einsetzen?“

Das Forschungsziel des Vorhabens lautet damit:

„Das Ziel des Projekts »CAMWear 2.0« ist die Entwicklung einer vorwettbewerblichen KI-basierten Entscheidungsunterstützungs-Systematik für KMU mit spanender Fertigung. Diese ermöglicht den Einsatz wissensbasierter Optimierung von Zerspanwerkzeugen und kann die Wirtschaftlichkeit der spanenden Fertigung in KMU nachhaltig steigern und zur Ressourcenschonung beitragen.“

Förderhinweis

Das IGF-Vorhaben CAMWear 2.0 (21660N) der Forschungsvereinigung Programmiersprachen für Fertigungseinrichtungen (FVP) e.V. wurde über die AiF im Rahmen des Programms zur Förderung der Industriellen Gemeinschaftsforschung (IGF) vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie aufgrund eines Beschlusses des Deutschen Bundestages gefördert. Der Förderzeitraum begann im März 2021 und endet Februar 2023.