AutoPro – Automatisierte Produktivitätssteigerung für die spanende Serienfertigung bei KMU

Die zunehmenden Herausforderungen des globalisierten Wettbewerbs- und Kostendrucks, bei gleichzeitiger Individualisierung der Kundenforderungen, zwingen produzierende Unternehmen, insbesondere KMU, ihre Markt- und Wettbewerbspositionen durch gezielte Maßnahmen nachhaltig zu sichern und zu stärken. Infolge kleiner werdender Losgrößen und komplexer werdender Produkte müssen Produktionsabläufe enger getaktet und Unternehmensbereiche enger verknüpft werden. Vor diesem Hintergrund werden ressourcenintensive, qualitätsbestimmende Arbeitsschritte, wie die Auslegung und das Einfahren neuer Fertigungsprozesse, zu wettbewerbsentscheidenden Engpässen. Diese Engpässe treffen insbesondere KMU, die in der Regel nur über begrenzte Ressourcen (Personal und Zeit) verfügen. Als Konsequenz erhöhen sich Durchlaufzeiten auftragsübergreifend und die erreichbare Gesamtproduktivität des Unternehmens bleibt begrenzt.

Zur Gewährleistung der kundenseitig geforderten Produktqualität bei begrenzter Planungskapazität werden Fertigungsprozesse heute meist konservativ, mit global reduzierten Technologieparametern ausgelegt. Mittel für produktindividuelle, aufwändige Prozessoptimierungen fehlen, sodass das Restpotenzial hinsichtlich individueller Toleranzvorgaben und verfügbarer Maschinenleistung bei weitem nicht ausgeschöpft wird. Im Rahmen bilateraler Projekte des WZL mit spanend fertigenden KMU aus den Bereichen Luftfahrt und Automotive konnte in den Jahren 2016 und 2017 gezeigt werden, dass dies fallspezifisch zu bisher ungenutzten Produktivitätssteigerungspotenzialen von 25 % bis 140 % führt. In einem nächsten Schritt sind daher die im Rahmen der bilateralen Projekte angewendeten manuellen Optimierungsmethoden zu formalisieren, mittels neu zu erforschender Ansätze zu automatisieren und so für die intuitive Anwendung durch Fachpersonal bei zerspanenden KMU zu erschließen.

Aktuelle Softwarelösungen bieten dem Anwender im Rahmen der CAM-Planung bereits heute rudimentäre Funktionen, um Anfahrbewegungen zu reduzieren und Vorschübe zu optimieren. Dabei bleiben aufgrund von Starrkörpermodellierung jedoch oftmals das statische, dynamische und thermische sowie das geometrisch-kinematische Leistungsvermögen von Maschine und Prozess unberücksichtigt. Zudem werden die vorgeschlagenen, unsicherheitsbehafteten Produktivitätssteigerungsempfehlungen bisher nicht mit den zur Verfügung stehenden Toleranzinformationen und Prüfergebnissen verknüpft bzw. durch diese abgesichert.

Da die explizite Modellierung der Einflussgrößen mit hohen Aufwänden hinsichtlich der Parametrierung und Modellsynthese verbunden ist – was insbesondere für KMU zu nicht vertretbaren Investitionen führt – soll im Rahmen von AutoPro eine neuartige Lösung erforscht werden, die vorhandene Messberichte von Koordinatenmessgeräten dazu nutzt, die Parameteroptimierung evidenzbasiert zu steuern. Ein Vorteil dieses Ansatzes liegt auch darin, dass Prüfergebnisse der Qualitätssicherung systembedingt von systematischen und stochastischen Faktoren durchdrungenen sind, was eine detaillierte und maschinenspezifische Optimierung ermöglicht.

 

Ziele und Vorgehensweise

Kernziel der geplanten Arbeiten ist somit die Erarbeitung einer rechnergestützten Methodik zur Produktivitätssteigerung, die eine automatisiert-iterative Anpassung von Bahnpfaden und Technologieparametern beim Einfahren neuer Serienprozesse unterstützt. Durch Bereitstellung evidenzbasierter Handlungsempfehlungen im Rahmen der CAM-Planung sollen sich auf diese Weise Durchlaufzeiten verkürzen und Prozesse hinsichtlich Haupt- und Nebenzeiten optimieren lassen – ohne dabei Bauteiltoleranzen zu verletzen. Infolge der reduzierten Modelltiefe und des hohen Automatisierungsgrads soll das System explizit für KMU nutzbar sein und keine komplizierte Expertenlösung darstellen. Um dies zu bewerkstelligen werden hinter der für KMU-ersichtlichen Benutzeroberfläche u. a. Regressionsanalysen und Methoden des maschinellen Lernens zum Einsatz kommen.

Um künftig eine robuste und KMU-gerechte Produktivitätssteigerung von kleinen, mittleren und größeren Serienprozessen zu gewährleisten, soll CAM-/NC-Planern ein prozessbegleitender Fertigungsassistent zur Verfügung gestellt werden. Dafür werden im Rahmen des Projektes Lösungsmöglichkeiten für eine mit der Qualitätssicherung synchronisierte Erweiterung des CAM- bzw. NC-Programmiersystems erforscht. Durch die Aggregation der an verschiedenen Stationen entlang der CAD-CAM-NC-Kette anfallenden Informationen und Daten, können lokal aufgelöste Produktivitäts­optimierungs­potenziale erkannt und ausgeschöpft werden. Dabei steht insbesondere die Verknüpfung von Daten aus dem Fertigungsprozess, der CAM-Planung und der Qualitätssicherung im Vordergrund. So sollen die Messergebnisse individueller Bauteiltoleranzen mit den zugehörigen Prüfmerkmalen auf die jeweiligen Bearbeitungsschritte im NC-Programm projiziert werden. Im Anschluss werden die dem jeweiligen Bearbeitungsschritt bzw. NC-Satz zugrundeliegenden Werkzeugpfade und Technologieparameter über einen neu zu erarbeitenden Optimierungsalgorithmus angepasst, wodurch die Produktivität vor dem Hintergrund der geforderten Einhaltung der Bauteilqualität gesteigert wird. Das dem beantragten Forschungsvorhaben AutoPro zugrundeliegende Anwendungsszenario ist in Abbildung 1 dargestellt.

Abbildung 1: Prinzip der automatisierten Produktivitätssteigerung

NC-Zerspanprozesse werden auch bei KMU mittlerweile überwiegend rechnerunterstützt, d. h. im CAM-System, erstellt (1). Da hierbei jedoch nur begrenzte Planungsressourcen bereitstehen, ist eine gleichzeitig produktivitätssteigernde und qualitätssicherstellende NC-Programmoptimierung aktuell nicht möglich. Anschließend folgen die NC-Fertigung (2) sowie die Qualitätssicherung (3). Ziel des Projekts AutoPro ist es nun, die im Rahmen der Schritte (2) und (3) anfallenden digitalen Daten zu erfassen, aufzubereiten und einem neu zu erarbeitenden Optimierungsalgorithmus (4) zuzuführen. Hierbei werden die Qualitätsdaten zunächst mit den Prozessinformationen (NC-Programm, Maschinengrenzen) und den CAM-Daten verknüpft. Zur Synchronisierung der hierfür zur Verfügung stehenden heterogenen Daten werden verschiedene CAM-, KMG- und NC-Schnittstellen untersucht. Beispielsweise wird die Synchronisierung der Daten über ein projektives Fitting der einzelnen Geometrieelemente (Bauteil-Features, NC-Pfade, Mess- und Toleranzelemente) im kartesischen 3D-Raum untersucht.

Anhand der Messelementdaten aus der Qualitätssicherung und deren Verknüpfung mit den Planungsdaten können anschließend im NC-Programm die Bereiche identifiziert werden, die für die qualitative Ausprägung der verschiedenen Prüfmerkmale verantwortlich sind. So können die einzelnen NC-Sätze anhand der Qualitätsdaten klassifiziert werden, um die Anpassungs- und Optimierungsart zu bestimmen: Prozess nicht im Eingriff (a), Schruppbearbeitung (b) und Schlichtbearbeitung (c). In der Klasse (c) werden zusätzlich Bereiche detektiert, in denen keine gesonderten Toleranzen aus der technischen Zeichnung hervorgehen oder in denen sogar keine zu prüfenden Merkmale vorhanden sind. Der zugrundeliegende Grundgedanke der toleranzspezifischen NC-Programmoptimierung von AutoPro ist in Abbildung 2 dargestellt.

Abbildung 2: Verknüpfung von Qualitätsdaten mit dem zugehörigen NC-Pfad und anschließende Optimierungsstrategie für NC-Pfad und Technologieparameter

Der Toleranzbereich einzelner Prüfmerkmale wird in der industriellen Praxis häufig unterschiedlich ausgeschöpft. Ist dieser nicht ausgereizt, so ist eine Produktivitätssteigerung theoretisch möglich. Liegt die Ist-Kontur hingegen nah an der Toleranzgrenze und überschreitet vordefinierte Schwellwerte (bspw. 90 % bis 95 % der geforderten Toleranz bereits ausgenutzt) so ist ggf. ein leichte, geometrische Anpassung des Pfades ein geeignetes Mittel, um produktivitätssteigernde Potenziale zu erschließen. In einem ersten Schritt sollen daher die toleranzbezogenen ausgewerteten Bereiche im NC-Programm farblich markiert werden

Zur Optimierung des NC-Programms in Hinblick auf die Produktivitätssteigerung wird ein daran anschließender intelligenter Optimierungsalgorithmus erarbeitet, der auf Basis der ermittelten Prüfmerkmale und erstellten NC-Satz-Klassen die im einzelnen NC-Satz bzw. in zusammenhängenden NC-Satz-Ketten hinterlegten Fertigungs- und Technologieparameter je nach Klassifizierung, Toleranzart und -ausschöpfungsgrad anpasst, Abbildung 3 links. NC-Sätze bzw. NC-Satz-Ketten in den Klassen (a) und (b) können Vorschuberhöhungen bis hin zu den Leistungsgrenzen der Maschine ertragen. Beispielsweise erfolgt das Taschenfräsen mit großem Schruppanteil (Klasse (b)) in den meisten Fällen mit demselben Vorschub wie der anschließende Schlichtprozess, sodass hier ein deutliches Optimierungspotenzial zu erwarten ist. In der Klasse (c) wird neben der Vorschuberhöhung bei geringer Toleranzausschöpfung zusätzlich die Anpassung und Änderung der in den einzelnen NC-Sätzen hinterlegten Geometriedaten untersucht. Einerseits werden systematische Abweichungstrends innerhalb einer Toleranz ermittelt, die über eine entsprechende automatisch ermittelte Geometriekorrektur im NC-Programm ausgeglichen werden. Im Anschluss an die erfolgte Geometriekorrektur kann an der jeweiligen Stelle der Vorschub hochgesetzt werden, da eine mögliche Toleranzverletzung durch die erfolgte Geometriekorrektur minimiert wurde. Zusätzlich wird darauf geachtet, dass im Gegensatz zur konventionellen adaptiven Vorschubregelung während des Werkzeugeingriffs beim NC-Satz-Übergang an toleranzkritischen Elementen eine konstante Vorschubgeschwindigkeit gewährleistet wird, sodass ständige Beschleunigungs- und Abbremsvorgänge nicht zu einer ungewollten Verschlechterung der Bauteiloberfläche führen. Einige Toleranzen (z. B. Rechtwinkligkeit) erstrecken sich über mehrere NC-Sätze, einzelnen NC-Sätzen liegt ebenso häufig eine Mehrzahl von Toleranzen zugrunde. Hier werden auf Basis von Master-Slave-Beziehungen bzw. der Abhängigkeiten der einzelnen Toleranzen untereinander die bereits angesprochenen NC-Satz-Ketten gebildet. Der so entstehenden NC-Satz-Gruppe werden bestimmte ausgewählte Prozessparameter zugeordnet, sodass keine ungewünschten Beschleunigung- und Abbremsvorgänge die Bauteilqualität beeinflussen. Dabei werden Randbedingungen, wie etwa Arbeitsraumgröße, Leistungsgrenzen von Hauptspindel und Vorschubantrieben, sowie Stabilitätsgrenzen und Qualitätsgrenzen modellbasiert berücksichtigt. Die Bildung von zusammengehörigen NC-Sätzen zu NC-Satz-Ketten mit gleicher Klassifizierung kann ebenfalls zur Anpassung und Optimierung des NC-Programms in den Bearbeitungsklassen (a) und (b) genutzt werden.

Ein satzweise angepasstes NC-Programm ist das Ergebnis der Datenverknüpfung und Optimierung. Der Prozess wird im Anschluss erneut mit dem optimierten und angepassten NC-Programm durchlaufen, bis iterativ ein stabiler und qualitativ hochwertiger Prozess mit erhöhter Produktivität gefunden ist, Abbildung 3.

Abbildung 3: Iterative Qualitätsanalyse zur Ermittlung der optimalen Prozessparameter

Darauf aufbauend wird untersucht, wie die mit Qualitätsdaten angereicherten Werkzeugbahninformationen über konventionelle CAM-Schnittstellen als „Add-on“ der CAM-Planung zur Verfügung gestellt werden können. Die Rückführung der Qualitätsdaten in die CAM-Software dient dabei als Entscheidungsunterstützung bei der Auswahl geeigneter Fertigungs- und Technologieparameter sowie geeigneter Geometrieanpassungen.

Förderhinweis

Das IGF-Vorhaben AutoPro (20550N) der Forschungsvereinigung Programmiersprachen für Fertigungseinrichtungen (FVP) e.V. wurde über die AiF im Rahmen des Programms zur Förderung der Industriellen Gemeinschaftsforschung (IGF) vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie aufgrund eines Beschlusses des Deutschen Bundestages gefördert. Der Förderzeitraum begann im Februar 2019 und endete im Januar 2021.