AuRoNa3D – Automatisierte robotergestützte Methodik zur Fertigung und Nachbearbeitung von Werkstücken auf Basis generativer Herstellungsverfahren

Die generative Fertigung hat in den letzten Jahren für die produzierende Industrie an großer Bedeutung gewonnen. Die Anzahl industrieller Systeme zur additiven Herstellung hat sich in der Zeit von 2010 bis 2014 in Deutschland verdreifacht. Seit mehr als 15 Jahren finden additive Fertigungsmethoden von Kunststoffbauteilen hauptsächlich im Bereich des Rapid-Prototypings und der Einzelteilfertigung Anwendung. In den letzten Jahren hat sich die Technologie dahingehend weiterentwickelt, dass sie bereits für Kleinserien und die Serienfertigung eingesetzt werden kann. Beispielhaft zu nennen sind Einsätze für CFK-Composite-Rahmen einer Flugdrohne und per Selective-Laser-Sintering gefertigte Verbindungssätze. Konventionelle Verfahren wie Stereolithografie (SLA), Selective-Laser-Sintering/Melting (SLS/SLM) und Fused-Deposition-Modeling (FDM) werden mittlerweile durch weitere Verfahren wie das Digital-Light-Processing (DLP) und Polyjet-Verfahren unterstützt. Allen Verfahren ist dabei gemein, dass sie einen Kompromiss aus Bauteilqualität und Durchlaufzeit eingehen. Die maximale Geschwindigkeit des Materialauftrags wird durch die Leistung des Extrudersystems begrenzt und die Prozesszeit ist signifikant von der Schichtdicke abhängig. Eine geringe Durchlaufzeit benötigt eine geringe Schichtauflösung und impliziert, dass in der Regel bei hochtolerierten Qualitätsbereichen spanend nachbearbeitet werden muss. Weist ein Bauteil zudem eine hohe Komplexität und starke geometrische Überhänge auf, so wird eine Stützstruktur zur Erhaltung der Bauteilstabilität während des Prozesses benötigt. Da die Stützstruktur physisch mit der positionsspezifischen Deckschicht des Bauteils einen Verbund eingeht, muss diese im Nachgang entfernt werden. Dieser Vorgang hinterlässt eine Oberfläche mit geringerer Güte, die nur durch zusätzliche Prozessschritte verbessert werden kann. Die Applikationsforschung beschäftigt sich indes mit der Herstellung von Bauteilen mit neuen Eigenschaften. Beispielsweise bei der Herstellung von Composite-Bauteilen werden Einlegebauteile (Inserts) in eine Matrix aus Kunststoff appliziert. Besteht diese Einlage bspw. aus einem Faserverbundwerkstoff, so können damit die mechanischen Eigenschaften des Gesamtbauteils verbessert und an kundenspezifische Wünsche angepasst werden. Um eine optimale Passung beider Bauteile zu ermöglichen, ist eine spanende Nachbearbeitung erforderlich. Eine Erweiterung der im Prozess verwendeten Maschinenkinematik bietet das Potential, den Anteil von Stützmaterialien zu verringern oder gar vollständig zu eliminieren. Zusätzliche Freiheitsgrade ermöglichen eine Neuorientierung zwischen dem Bauteil und dem Extruder schon während des Prozesses, ohne auf ein Umspannen des Werkstückträgers angewiesen zu sein. Die Erweiterung von Systemen zum Auftragen des Werkstoffs mit zusätzlichen Achsen kann dabei durch verschiedene konventionelle Systeme (Drehschwenktisch, 6-Achs-Handling) erweitert werden. Im Rahmen des beantragten Forschungsvorhabens „AuRoNa3D“ wird eine hybride Prozesskette entwickelt, die zur Erhöhung des Automatisierungsgrads von additiven Fertigungsprozessen beiträgt. Dafür wird der konventionelle 3D-Druck um Freiheitsgrade erweitert und eine spanende Bearbeitung zur Steigerung der geometrischen Maßhaltigkeit eingeführt.

 

Abbildung 1: Durchgängige hybride Prozesskette zur Verschmelzung von generativer und subtraktiver Fertigung

Die Entwicklung einer Methodik zur automatisierten robotergestützten Fertigung und Nachbearbeitung von generativ gefertigten Bauteilen erfordert eine ganzheitliche Betrachtung von drei identifizierten Themenkomplexen (siehe Abbildung 1): Hybride Prozesskette, generative Fertigung und subtraktive Nachbearbeitung.

1. Durchgängige Prozesskette zur hybriden Fertigung

Zur Automatisierung des generativen Fertigungsprozesses und der spanenden Nachbearbeitung von Bauteilstrukturen ist sowohl eine durchgängige Prozessplanungskette als auch eine entsprechende Steuerungsarchitektur erforderlich. Geometrisch komplexe Bauteile liegen heutzutage als digitales Abbild in Form eines CAD-Modells vor. Dieses Modell ist für beide Prozessplanungsschritte als Ausgangsbasis verwendbar, da dort alle Meta- sowie geometrischen Informationen inkludiert sind. Für das Vorhaben müssen zwei grundlegende Fälle der Nachbearbeitung unterschieden werden: Im ersten Fall muss ein sukzessiv alternierender Prozess betrachtet werden, wenn die Fertigung von Kunststoffbauteilen Funktionsflächen zum Fügen von bspw. Passverbindungen bzw. materialdiversen Einlagen einfordert. Der Ablauf sieht vor, dass eine definierte Anzahl an additiv gefertigten Schichten aufgetragen wird, bevor die Funktionsflächen zur Erreichung der geometrischen Endmaße durch einen spanenden Prozess nachbearbeitet werden. Der zweite Fall betrachtet abweichende Abmessungen der Bauteilkontur, die im Gegensatz dazu nach dem generativen Fertigungsprozess bearbeitet werden können. Durch eine teilautomatisierte Analyse des Geometriemodells kann eine Unterscheidung zwischen Funktionsflächen im Inneren eines Bauteils und einer Topologieoptimierung durch Materialeinsparung durch passende Metainformationen geschehen. Im Zuge dessen muss ein Planungsmodul Ablaufprogramme zur generativen Fertigung des Bauteils erstellen, gleichzeitig aber auch Fertigungssequenzen zur spanenden Bearbeitung einzelner Schichten generieren (sukzessiv alternierende Bearbeitung). Dies bedeutet, dass zwei Planungsmodule konzeptioniert werden müssen, die über geeignete Schnittstellen miteinander kommunizieren können. Durch die Erweiterung des Prozesses mit externen Messmethoden zur Erfassung der Ist-Geometrien kann die Güte der CAM-Planung während des generativen Prozesses (Inline-Messung) oder für Außenflächen im Nachhinein (Offline-Messung) weiter erhöht werden.

2. Generative Fertigung mit Kinematiken mit mehr als drei Freiheitsgraden

Klassische auf dem Markt erhältliche Systeme zur generativen Fertigung von Kunststoff- und Metallbauteilen nutzen in der Regel drei Freiheitsgrade zum Materialauftrag. Kunststoffbauteile werden meist mit kartesischen oder Delta-Kinematiken gefertigt, wohingegen beim SLM Verfahren ein mechanisch beweglicher Spiegel oberhalb des Pulverbetts den Laser zur Pulveraufschmelzung in der X-Y-Ebene bewegt. Bei beiden Verfahren führt eine sequentielle relative Erhöhung der Z-Koordinate zu einem dreidimensionalen Bauteil. Überhänge oder Bauteilbrücken können mit diesen konventionellen Systemen ab einer gewissen geometrischen Grenze nicht mehr ohne Stützstruktur gefertigt werden. Diese Strukturen müssen im Nachhinein durch nachgelagerte Schritte entfernt werden. Je nach Material erfolgt dies durch manuelles Ablösen, spanende Bearbeitungsverfahren oder bei der Verwendung spezieller wasserlöslicher Zusatzwerkstoffe durch einen Suspensionsprozess, beispielsweise mit Hilfe eines Ultraschallbads. Insbesondere die wasserlöslichen Hilfswerkstoffe erlauben die Fertigung von weitaus komplexeren Geometrien mit starken Überhängen, stellen allerdings höhere Anforderungen an das Fertigungssystem, die Prozesssteuerung und den Präprozessor selbst. Die Verarbeitung von zusätzlichem Hilfsmaterial erhöht des Weiteren die Prozesszeit und die Materialkosten. Standard-Industrieroboter (IR) mit serieller Kinematik bieten bis zu sechs Freiheitsgrade und gelten somit als höchst flexible Fertigungssysteme. Des Weiteren weisen IR im Vergleich zu Werkzeugmaschinen ein geringeres Investitionsvolumen auf und stellen somit eine alternative Möglichkeit zur Kombination des additiven und subtraktiven Fertigungsverfahren dar. Des Weiteren bietet der Einsatz eines 6-Achs-Handlings den Vorteil mit geringsten Neben- und Rüstzeiten einen automatisierten Wechsel des Werkzeugs zur Bearbeitung des Werkstücks vollziehen zu können. Zuletzt ist es mit mehr als drei Achsen potentiell möglich den Prozess zu einem realen räumlichen Materialauftrag weiterzuentwickeln, der auf konventionellen Systemen nicht möglich ist.

3. Roboterbasierte Nachbearbeitung von Werkstücken generativer Fertigungsverfahren

Auf Grund der Tatsache, dass generativ gefertigte Kunststoffbauteile im Allgemeinen keine hohe Endkonturgüte aufweisen, müssen Funktionsflächen entweder nachbearbeitet werden oder der Konstrukteur muss ein hohes material-, maschinen- und slicerspezifisches Expertenwissen vorweisen. Ein großes Problem des weit verbreiteten FDM-Verfahrens ist der damit einhergehende Kompromiss aus Qualität und Durchlaufzeit. Eine gewisse Konturabweichung ist a-priori gegeben, da die Schichtdicke zwar variabel, allerdings nicht beliebig klein und die Durchlaufzeit nicht wahllos hoch gesetzt werden kann (vgl. Abbildung 2). Insbesondere Bohrungen senkrecht zur Schichtauftragsrichtung unterliegen Ungenauigkeiten aufgrund des schichtweisen Auftragens.

Abbildung 2: Schematischer Vergleich von Soll- und Ist-Kontur in Abhängigkeit der Schichtdicke

Eine Erfassung der Ist-Geometrie direkt nach dem Sliceprozess in Verbindung mit externer Inline- und/oder Offline-Messung kann direkt in die CAM-Planung und Bahnerzeugung einfließen. Durch eine sukzessiv alternierende Bearbeitung zwischen den einzelnen Schichtauftragungen kann eine erhöhte Oberflächengüte besonders für Einlegebauteile erzeugt werden. Der Einsatz eines Systems für den Materialauftrag und spanender Nachbearbeitung in diesem Vorhaben erlaubt im Vergleich zu konventionellen Bearbeitungszentren die Nutzung des gleichen Arbeitsraums ohne Umspannen des Werkstücks. Dies kann durch einen flanschseitig angebrachten Wechselkopf bzw. ein Dualwerkzeugsystem realisiert werden, in dem Extruder und Frässpindel integriert sind. Ein Vermessen von Referenzkoordinatensystemen kann somit entfallen. Eine Qualifizierung von IR in der spanenden Schruppbearbeitung von Metallwerkstoffen bei geringen Qualitätsanforderungen wurde bereits im Projekt HORuS näher untersucht und wird im Folgeprojekt HORuS² fortgesetzt. Da bei der additiven Fertigung und der spanenden Bearbeitung von Kunststoffen im Vergleich zu metallischen Werkstoffen geringere Prozesskräfte auftreten, ist ein Einsatz von IR zur Ausführung des Prozesses möglich. Eine Nachbearbeitung durch eine Kinematik mit mehr als drei Achsen sorgt für eine erhöhte Oberflächengüte und eine höhere Maßhaltigkeit des Bauteils, als Sie vom FDM-Prozess in vertretbarer Zeit erreicht werden kann.

 

Zielsetzung und Vorgehensweise

Ausgehend von den aktuellen Vorarbeiten soll folgende Hauptforschungsfrage beantwortet werden:

Welche qualitativen Grenzen sind bei additiv hergestellten Bauteilen durch konventionelle Robotersysteme mit einer hybriden Prozesskette und integrativer Prozesstechnik erreichbar?

Zur Beantwortung dieser Frage muss eine durchgängige hybride Prozesskette für die Kombination von additiver Fertigung und spanender Bearbeitung entwickelt werden, die eine Prozessplanung von Fertigungssystemen mit mehr als drei Freiheitsgraden unterstützt. Deren Tauglichkeit wird anschließend auf Basis konventioneller IR für die Ausführung der geplanten Teilprozesse überprüft und evaluiert, um eine qualifizierte Antwort auf die initiale Forschungsfrage geben zu können.
Zur Beantwortung selbiger werden folgende Teilziele verfolgt und Ergebnisse erarbeitet: Einleitend wird eine Anforderungsanalyse an die hybride Fertigung von Kunststoffbauteilen erhoben. Auf Basis der definierten Anforderungen wird eine hybride Prozesskette entwickelt, die neben der generativen Fertigung auch eine Planungskette für nachgelagerte spanende Prozesse inkludiert. Für diese wird methodisch eine Präprozessaufbereitung von Daten entwickelt, mit der Ungenauigkeiten von FDM Prozessen ausgeglichen werden können. Für dieses Vorhaben bieten sich geometrische Anpassungen des Modells (Aufmaß) und der Einsatz mehrachsiger Bearbeitungsmaschinen an. Für einen automatisierten Datenaustausch werden Infrastrukturen und Schnittstellen zwischen den einzelnen Teilsystemen benötigt, die in einer initialen Systemarchitektur konzipiert werden. Zur Ergänzung von a-priori Abschätzungen der geometrischen Fehler beim Materialauftrag durch die Aufnahme des Ist-Zustands des Bauteils sind externe Messsysteme notwendig. Deren Datensätze müssen analysiert, evaluiert und in die Prozesskette zurückgeführt werden, um die Nachbearbeitung planen zu können. Zuletzt werden die entwickelten Methoden an einem realen Versuchsaufbau evaluiert und validiert. Zur Beantwortung der gestellten Forschungsfrage werden abschließend die Bearbeitungsergebnisse durch genormte Qualitätsmessungen untersucht und bewertet.

Förderhinweis

Das IGF-Vorhaben AuRoNa3D (20538 N) der Forschungsvereinigung Programmiersprachen für Fertigungseinrichtungen (FVP) e.V. wurde über die AiF im Rahmen des Programms zur Förderung der Industriellen Gemeinschaftsforschung (IGF) vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz aufgrund eines Beschlusses des Deutschen Bundestages gefördert. Der Förderzeitraum begann im Februar 2019 und endete im Juli 2021.